Thomas Tiemeier, Jahrgang 1968. Geboren in Minden/Westfalen.
Mit über 50 Jahren bin ich noch immer ambivalent, was eine gerade, stringente Biografie angeht. Manchmal schaue ich mit Neid auf die, deren Leben scheinbar wie ein ruhiger Fluss verlief und verläuft. Schiele leicht missgünstig auf materielle und immaterielle Erfolge der Anderen, auf ihre freistehenden Einfamilienhäuser, ihre Masterabschlüsse, ihr selbstsicheres Auftreten.
Dann frage ich mich, ob ich mir solch ein Leben wirklich wünsche. Oder ob nicht doch all die Um- und Irrwege, die zweifelhaften Entscheidungen und Misserfolge, zu etwas geführt haben, auf das ich heute mit einer gewissen Zufriedenheit blicken kann.
Ich habe Schulen besucht und sie ohne Abschluss verlassen, Ausbildungen begonnen und abgebrochen, Jobs angefangen und hingeschmissen. Zweite, dritte Anläufe wurden zu einer Gewohnheit. Meine Mutter warnte früher bei jedem Neustart, das sei nun meine „letzte Chance“ – wie viele letzte Chancen gibt es im Leben?
Mit jedem Tag blicke ich ein bisschen versöhnlicher auf diese seltsame Vita verpasster Chancen. Denn häufig spiegelten diese „Chancen“ nur die Erwartungen Anderer wider. Besser also, sie verpasst zu haben.
Ach ja, zum Schreiben:
Nein, ich arbeite nicht an meinem dritten (vierten, fünften, …) Roman.
Nein, ich weiß nicht, ob diese Sammlung von Erinnerungen jemals ein Roman wird. Aber ich arbeite dran.
Nein, ich habe nicht „eigentlich schon immer geschrieben“.
Nein, ich bezeichne mich nicht als Autor oder Schriftsteller. Ich schreibe bloß auf, was mich bewegt.
Nein, ich habe nicht Literaturwissenschaft oder was mit Medien studiert.
Nein, Krimis, Vampire, Fantasy sind nicht mein Metier. Das überlasse ich denen, die daran Freude haben. Für mich ist die reale Welt ein Kaleidoskop voller Möglichkeiten.
Ja, es ist ein schöner Traum, vom Schreiben zu leben. Und es ist eine Utopie. Vom Leben zu schreiben ist weniger utopisch.
Ja, mit ADHS zu schreiben, ist noch schwieriger als ohne. Doch es birgt viele Möglichkeiten.