Job Nr. x wird Geschichte
Schade, es war schön im Homeoffice. Morgens um sieben mit einem Kaffee auf der einen und dem schnurrenden Kater auf der anderen Seite des Schreibtisches, Rechner einschalten, mich in der Firma einloggen, das Wenige tun, was zu tun ist. Zwei Jahre ohne nervenzermürbenden Arbeitsweg, ohne morgendliche Straßen voller gestresster Menschen, ohne einen ständigen Geräuschpegel, der die Aufmerksamkeitsspanne in Etappen zu 20 Sekunden zerhäckselt.
Acht Jahre bei der Firma, für einen ADHS’ler eine ganz beachtliche Spanne. Ein bisschen IT-Kram, ein bisschen Programmierung, selten voll ausgelastet.
Bis zu jenem Tag im Dezember 2021. Ein normaler Arbeitstag. Das Telefon klingelt. Die Durchwahl 10 wird angezeigt. Ich verlasse die Homeoffice-Jogginghosen-Rumhänge-Haltung und nehme eine aufrechte Position im IKEA-Bürosessel ein. Chef. Passiert maximal dreimal im Jahr, dass ich diese Durchwahl zu Gesicht kriege.
Ob ich mir vorstellen könne, das Marketing organisatorisch und federführend zu übernehmen, will der Chef wissen. Im Ton durchaus freundlich, wobei eine leicht scharfe Nuance impliziert, dass diese Frage rein rhetorischer Natur ist. Die übliche „Könnten Sie sich vorstellen“-Frage eines Vorgesetzten eben.
Meine Kenntnisse des Marketings beschränken sich auf ein verkauftes Objektiv bei Ebay, wo ich dem Inserat die Attribute „neuwertig“ und „hervorragend“ hinzugefügt hatte. Marketing rangiert für mich irgendwo zwischen phantasievoller Lüge und psychologischer Verkäuferbrechstange. In zeitgemäßer Form die vorsätzliche Debilisierung von Sprache, heruntergebrochen auf das Verlangen von Suchmaschinen nach Simplizität. Search Engine Optimization – hatte ich schon mal gehört. Ich hasse es.
Natürlich könne ich mir das vorstellen, entgegne ich dem Chef. Und natürlich freue ich mich über die neue Aufgabe, versichere ich ihm pflichtschuldig, unterwürfig, hündisch.
So wird der idyllische Heimarbeitsplatz von einem Tag auf den anderen zur hektischen Schaltzentrale eines Werbestrategen ohne Strategie. Alleine bin ich auch nicht mehr: Ständige Videokonferenzen mit E-Business-Nerds spülen mir Menschen ins Haus, die ich freiwillig niemals eingeladen hätte. Alle superkompetent, superselbstsicher, alle „feiern“ pausenlos sich, die Zahlen, das Web, die Welt. Ach ja, die Zahlen. Die sind natürlich beschissen, seit ich übernommen habe. Egal, die Profis versichern mir: „Die Performance ist gut“.
Vier Wochen später schreibe ich dem Chef eine Mail, dass ich mir nicht mehr vorstellen könne, das Marketing weiter zu betreuen. Chef schreibt zurück, dass er nicht mehr zuständig sei, weil er sich mit 55 nun in den Ruhestand verabschiede.
Neuer Chef kommt. Bringt seinen besten Freund mit, das Whiteboard. Erläutert mir mit vielen Pfeilen, Kästchen und allen erdenklichen Vokabeln, die auf Xing so trenden, was er alles ändern will. Wertschätzung, Transparenz, Mitbestimmung, Zusammenhalt. 25 Jahre alte Erkenntnisse, die der modernen Führungskraft als bahnbrechend und neu verkauft werden. Neuer Chef strahlt. Neuer Chef spricht übers Marketing.
„Könnten Sie sich vorstellen…“.
„Nein“.
Ein paar Tage später klingelt das Telefon. Durchwahl 10.
„Ich habe lange nachgedacht und mir die Entscheidung nicht einfach gemacht…“.
Ende einer wunderbaren Karriere.